Mittwoch, 1. April 2009

Inszenierung von "Sympathy for the devil", Part II ("Shine a Light")


Wiederum knapp zwanzig Jahre später, zwei Jahrzehnte nach der Steel Wheels Tour, gehen die Stones in der Ästhetik ihrer Bühnenshow wieder einen Schritt zurück. In Martin Scorseses Musikfilm "Shine a Light" , der bei der Berlinale 2008 seine Premiere feierte, erlebt der Zuschauer eine Inszenierung, die nahezu ohne Bombast auskommt. Aber auch die musikalische Entwicklung des Stückes ist nicht zu überhören: wohl in der Absicht, Patina vom Stück zu lösen und ihm neue Frische einzuhauchen, spielt sich das Piano hier von Beginn an mehr in den Vordergrund, ist in höherer Tonlage weit melodiöser, als in der Urfassung.
Dadurch wirkt der Song gefälliger als man ihn kennt, um nicht zu sagen harmloser. Zu Beginn ist die Bühne in rotes Licht getaucht, es gibt keine aufwendige Lightshow. Noch ist der Sänger nicht zu sehen, nur seine Stimme ist schon da: "Whoo-hoo!" hallt es irritierend fistelstimmig in den Saal. Schnitt auf Richards, der mit den Kollegen noch rasch letzte Absprachen trifft- der Star erscheint hier eben nicht als Überwesen, sondern als "alter Hase" , als Mensch. Plötzlich: am anderen Ende des Saales schwingt eine Flügeltür auf, vor rot gleißendem Licht- man assoziiert unweigerlich die Höllenpforte- zeichnet sich die dunkle Silhouette Jaggers ab. Im pechschwarzen Federmantel schreitet er in temperamentvollen Bewegungen durch das mitjohlende Publikum, der größtmögliche Gegensatz zum umnebelten Bühnenturm. Ein Bühnenarm ragt in den Zuschauerraum, so dass Jagger auch während des Auftritts in die Menge hineinlaufen kann; Jagger interagiert mit den Zuschauern (gibt z.B. den Chorus vor, animiert zum Klatschen) - die Grenze zum Publikum löst sich auf. Die Kameras fangen nahe zu gleichen Teilen Band und Publikum ein, und stellen so ein visuelle Ebenbürtigkeit her. Auch die Kamera filmt das Geschehen oftmals aus der Publikumsperspektive, die Menge wird als eine Zusammensetzung aus Individuen erkennbar. Indes fangen die gestochen scharfen Digitalbilder die Musiker in solch großer Nähe ein, dass selbst kleinste Unebenheiten in den Gesichtern erkennbar werden, hier sieht man die Stars wortwörtlich >hautnah<. Der Backgroundchor, zu Steel Wheel-Zeiten als reine Damenriege fein säuberlich aufgereiht in den Hintergrund verbannt, ist nun verteilt über die Bühne, durch Gesten wird eine enge Vertrautheit mit den Bandmitgliedern demonstriert (Umarmungen nach den Songs etc.), der Chor wird zum gleichberechtigten Teil der Band. Und doch wirkt der ganze Auftritt zu perfekt, zu gezähmt. So als habe man sich dem gutsituierten Publikum angebiedert: Faltenrock!
Schade, von Großmeister Scorsese hätte man mehr erwartet.

Sympathy for his performace- von Gangstern und Dämonen, Part II


In Turners Haus wechselt der Film in eine lineare und gemächlichere Erzählweise, während nun die Handlung selbst ins Bizarre kippt: Form und Inhalt tauschen gegenüber der ersten Hälfte die Rollen, Rollentausch wird überhaupt zu einem Hauptmoment des Films, die Maskerade treibt einem Höhepunkt zu. Wiederkehrender Gebrauch optischer Medien, Photographien, Film im Film und vor allem das omnipräsente Spiegelmotiv illustrieren das Spiel von Selbstvergegenwärtigung, Identitätswechsel und –verlust, das von Buñuel bis Lynch immer Bestandteil des surrealistischen Filmrepertoires gewesen ist.

"But what’s confusing you is the nature of my game"

Das an festen Grundsätzen ausgerichtete Leben Chas' bricht an gleich mehreren Stellen auseinander. Mit einer Damenperücke verkleidet findet er sich nach dem Liebesspiel mit der androgynen Lucy im Bett wieder. "Hast du dich jemals wie eine Frau gefühlt?" fragt sie.
Turner erklärt sie Chas als einen "weiblichen Mann", sich selbst als "männliche Frau", selbstverständliche Trennlinien seiner Moralvorstellungen brechen schockartig auf, Chas versucht sich dagegen zu wehren.
Chas, der als sadistischer Verbrecher zwar das Böse verkörpert, dabei aber letztlich weniger Outlaw als auf Anstand und Ordnung bedachter Kleinbürger ist, sieht sich in der neuen Umgebung als der moralisch Überlegene. Gleichzeitig ist seine Neugier und Faszination für die vermeintlich böse Welt Turners geweckt.
"Nothing is true, everything is permitted“"
Nachdem Chas eine Überdosis halluzinogener Pilze verabreicht wurde, verschwimmen die Grenzen vollends, wir sehen Turner plötzlich mit zurückgekämmten Haaren im Anzug, wie er in Chas' Geschäftswelt "Memo for turner" performt, während dieser nun als femininer Rockstar zu sehen ist.
"Since every cop is a criminal And all the sinners saints"
Identitäten, so die Quintessenz, sind nur Rollen, die wir spielen; Kategorien wie Gut und Böse haben keine Allgemeingültigkeit, sondern funktionieren immer nur in einer begrenzten Umgebung.
"Ich will in dich rein sehn', in dein Hirn reinsehen."
Schließlich wird Chas von seinen Verfolgern entdeckt, die Gangsterbande kommt, ihn "abzuholen". Das "System" Chas kollabiert, in Panik erschießt er Turner. In einer bizarren Kamerafahrt sieht man, wie die Kugel in dessen Hirn und die darin liegenden Bilder eindringt.
Als die Gangster einen Augenblick später mit ihrem Flüchtling abreisen, sieht man: Der Tausch hat sich vollendet- es ist Turner.

Sympathy for his performace- von Gangstern und Dämonen, Part I


Der 1970 entstandene Kultfilm der Beatgeneration, "Performance", wurde kürzlich auf DVD wieder herausgebracht.
Den Regisseuren Donald Cammell (dessen Familie eng mit dem Okkultisten Aleister Crowley befreundet war) und Nicolas Roeg ist hier ein greller Reigen gelungen, der akkurat den damaligen Zeitgeist, sowohl formal als auch inhaltlich, abbildet. Das Werk ist jedoch auch eine Untersuchung von Geschlechts- und Identitätswechseln, das Verhältnis von Kern und Oberfläche wird erforscht.
Nachdem sich der ebenso eitle wie sadistische Gangster Chas (James Fox) gegen den Bandenchef Harry Flowers aufgelehnt, und einen Konkurrenten ermordet hat, ist er auf der Flucht, verfolgt von ehemaligen Kollegen und Polizei.
Zufällig belauscht er einen Musiker, der vom Kellerappartment im Hause eines gewissen Turner (Mick Jagger) erzählt, das er aufgeben musste.
Daraufhin beschließt Chas, seine Identität zu wechseln. Er färbt sich die Haare rot, und sucht das Versteck im Hause des Musikers Turner auf.
Turner ist ein zurückgezogen lebender, ehemaliger Musiker, ein luciferisch anmutender Rockstar, der seine Inspiration bzw. seine Dämonen verloren hat, wie seine Geliebte Pherber Chas erklärt ("He lost his demons"). Mit Pherber (gespielt von der "Stones-Muse" und Geliebten Jaggers, Anita Pallenberg) und Lucy verbindet Turner eine bisexuelle Ménage à trois. Nach anfänglicher Abscheu gegenüber dieser Bohème-Welt aus freier Liebe und Drogen, lässt sich Chas auf eine Beziehung zu Lucy ein.
Indes weicht die Ablehnung zwischen den Männern einer gegenseitigen Einwirkung, beide scheinen sich von der fremd und dunkel anmutenden Welt des anderen magisch angezogen zu fühlen, allmählich verschwimmen die Charaktere...
Der Film besteht aus zwei unterschiedlichen Teilen: im ersten wird die klassische Gangstergeschichte mit Stilmitteln der Nouvelle Vague erzählt- durch die Jump Cuts, die Montagetechnik wird die Nähe zu Godard mehr als deutlich, durch den exzessiven Gebrauch dieser Verfahren schießt die Doppelregie manchmal über das Ziel hinaus, die Härte der Gangsterwelt und ihres Protagonisten zu verbildlichen.
Der psychedelische Unterton des Films setzt hier bereits ein, und lässt den Umbruch erahnen.

Satanische Botschaften - "Sympathy for the Devil" in den Medien, Part III


Der folgende Auszug beschreibt treffend jenen Spagat, welchen die Band (eigentlich jede Rockband) mit Zunahme ihres Erfolges zu meistern hat.
"Rolling Stones in Rio -
Wie heizt man die Stimmung an, wenn ein Superstar wie Mick Jagger durch eine Barriere von etwa 700 selbstverliebten VIPs vom Volk getrennt wird, die sich vor der Bühne in Szene setzten und mit ihren teuren Mobiltelefonen fotografieren, während sich die Rock'n'roll-Dinosaurier auf der Bühne abmühen? Ganz einfach: Man befördert den Star mittels einer fahrbaren Bühne mitten unters "Povo" - unters Volk. Etwa hundert Meter weit glitten die "Rolling Stones" auf Schienen über den Sandstrand, bis sie, mit dem Rücken zu den eitlen Promis, mitten unter den Fans spielte. "Miss You", sang Jagger, zum Anfassen nah, und zum ersten Mal in dieser Nacht fing Copacabana Feuer. Bei "Sympathy for the devil" glitt er wieder hinter die Mauer der VIPs zurück, das Publikum verstand die Doppeldeutigkeit und jubelte." (SPIEGEL, 2006)

Während die Beatles ihr Publium einst lässig aufforderten: “For our last number I’d like to ask your help: Will the people in the cheaper seats clap your hands? And the rest of you, if you’ll just rattle your jewellery!”, und damit das Thema vom Tisch fegten, sind die Stones mittlerweile natürlich selbst Teil der vom breiten Publium so kritisch beäugten VIP-Garde. Eine Rockband aber muß sich dabei stets eine gewissen Glaubwürdigkeit, Credibility bewahren können. Dass man um diese auch innerhalb der Band fürchtet, merkt man etwa, wenn Richards seinen Bandkollegen öffentlich wegen dessen Ritterschlag verhöhnt.

Dabei sehnt auch das Publilkum nach den Anfangstagen zurück. Und eben nach den Klassikern wie Sympathy for the devil, die der Band sicherlich manchmal auch als Fluch erscheinen mögen:
"Für Bands, die lange und erfolgreich im Geschäft sind, kann es zu einem Problem werden, dass sich im Grunde niemand für ihr aktuelles Zeug interessiert. Mal ehrlich, wer will schon neue Stones-Songs hören, wenn er zum gleichen Preis „Sympathy for the Devil“ haben kann?"
(Die Zeit, 2008)
Denn:
"Mag die Live-Darbietung auch oft ans Stümpertum grenzen, wir hören die Stücke ja ohnehin aus der Erinnerung heraus, Vorsprung durch Feeling, und Dabeisein ist jetzt alles: So viel Glück wie die Stones haben wenige unter den Menschen verbreitet. Wer einmal miterlebt hat, wie ein ganzes Stadion den Refrain zu Sympathy For The Devil maunzt, „Uh-uuuh“, wie dazu von der Gegentribüne vielhundertfach rote Ansteckzungen blinkern und wie die Lichtkegel der Bühnenscheinwerfer durch einen Nachthimmel kreisen, in dem die Mondsichel genau an der rechten Stelle hängt, dem darf ein Schauer der Dankbarkeit übern Rücken laufen."
(Die Zeit, 2003)


Die Zeichnung oben ist als Song-Bilderrätsel im Februar 2009 im berliner Tagesspiegel erschienen.

Inszenierung von "Sympathy for the Devil", Pt. I



Gerade in Zeiten von MP3 sind Konzerttourneen das mit Abstand profitabelste Geschäft im Musikbusiness. Zwischen 1989 und 2003 haben die Stones mit ihren vier Konzertreihen etwa 1,1 Milliarden Euro umgesetzt. Wohl 90 Prozent davon kassierte Michael Cohl, der Tourneechef der Stones.
Nach Abzug aller Kosten, etwa für Bühne, Crew und Transport, dürfte jedes Bandmitglied zwischen 1989 und 1999 um einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag reicher geworden sein. Für die "Forty Licks"-Tour sollen die vier Musiker insgesamt 100 Millionen Dollar verlangt haben.

Geschäftsmann in Hippiegestalt

Bereits seit 1989 organisiert der Kanadier Cohl die Welttourneen. Mit seinen langen Haaren, dem Vollbart und der John Lennon-Brille sieht Cohl bisschen aus wie ein Späthippie; doch Verhandlungspartner beschreiben ihn als knallharten Geschäftsmann.
Den Stones, die zuvor mit regionalen Veranstaltern gearbeitet hatten, bot er sich als engagierter Allround-Dienstleister an: Er kümmert sich um TV-Deals, organisiert die Tour, dabei auch um Merchandising und Sponsoring. 1989 bietet er den Stones eine Million Dollar pro Konzert. Angesichts dieser Offerte raufen sich Keith Richards und Mick Jagger nach jahrelanger Sendepause wieder zusammen, die "Steel Wheels"-Tour kann beginnen.
Der ausgewählte Clip ist dem Konzertfilm "At the Max" (1991) entnommen, der trotz seiner für dieses Verfahren ungewöhnlichen Länge von Neunzig Minuten mit IMAX ("Images Maximum")-Technik gedreht wurde, die durch eine extrem hohe Auflösung die Projektion auf Leinwände von 500 qm2 und mehr ermöglicht.
Das Video zeigt die Band während ihrer Europa-Tournee 1990.
Im Gegensatz zu früheren Inszenierungen, wie etwa dem berüchtigten Auftritt in Altamont 1969, tritt hier, zwanzig Jahre später, bei der Darbietung von Sympathy for the devil, das klassische "Prinzip Star" in den Vordergrund. Dieses Prinzip ist nicht an ein bestimmtes Medium (wie z.B. Kino) gebunden, sondern hat sich im ersten Medium der Darstellenden Kunst, also auf der Bühne, als eine dispositive Struktur herausgebildet.
"Der Star selbst ist dabei als Person zu verstehen, die durch ihre körperliche Präsenz, ihr Auftreten , ihre Gestik, und Mimik nicht nur eine Rolle glaubhaft verkörpern kann, sondern darüber hinaus auch noch ein Publikum zu faszinieren und auf seine Person zu fixieren weiß."
Diese Begriffsdefinition von "Star" des Medienwissenschaftlers Knut Hickethier, lässt sich am vorliegenden Beispiel hervorragend ablesen.
Mit einer maximal Star-zentrierten Choreographie beginnt das Stück:
Nebel tut sich auf , Jagger erscheint auf einem Turm der wie eine martialischen Festung anmutenden Bühnenkulisse, hoch über dem Publikum. Flammen schießen aus den Turmspitzen, die gesamte Bühne ist in rotes Licht getaucht. Flugscheinwerfer, wie bei Leni Riefenstahl in ihrem "Triumph des Willens" dem ursprünglichen Zweck entfremdet, durchbohren die Nacht. Angesichts dieser bedrohlichen Atmosphäre, der gewaltigen Kulisse, fühlt man sich jäh erinnert an Friedrich Kittlers Diktum von "Rockmusik ist Missbrauch von Heeresgerät", und schließlich berichtet uns der mephistophelische Rockstar nun folgend vom Kriege.
Bestimmend für den Star ist sein Verhältnis zum Publikum, welches die Kamera hier nur selten einfängt und dabei als homogene Masse inszeniert. Anfangs erscheint dieser Effekt besonders deutlich, wenn das Auditorium in rotes Licht getaucht, als uniformes Heer erscheint.
Zu wirklichen Stars werden Musiker erst, wenn das Publikum sie "annimmt", wenn sich also zwischen Publikum und Performer über das bloße Darstellen, das "Image" hinaus, eine auratische Beziehung bildet.
Darüber hinaus funktioniert die Verwandlung von der Person zum Star erst, wenn das Publikum in ihm auf idealisierte, überhöhte Weise Eigenschaften wiedererkennt, die es (wenn auch unbewusst) sich selbst zuschreibt oder herbeisehnt.
Dazu kommt, dass Überhöhung, wie sie sich hier auch räumlich durch den Bühnenturm manifestiert, nur einen der notwendigen Pole des Startums darstellt. Innerhalb seines Mediums (hier der Bühne), erzeugt der Star ein Bild von greifbarer "Natürlichkeit", das zwar ein künstlich erzeugtes darstellt, aber den Betrachtern den Schein des Unmittelbaren, Direkten, ja letztlich Nicht-Medialen vermittelt. Dies geschieht etwa bei der direkten Interaktion mit dem Publikum. Wenn Jagger während Richards Gitarrensolo schließlich die Showtreppe hinuntergelaufen kommt und sich , nach den typisch vitalen Verrenkungen am Bühnenrand postiert, ist dies nichts anderes als Abschreiten dieser beiden Pole. Anhimmeln und Anfassen.

Satanische Botschaften - "Sympathy for the Devil" in den Medien, Part II

SZ: Ich nenne Ihnen drei Rolling-Stones-Songs, Sie sagen mir, welcher für die Ewigkeit ist. Tumbling Dice?
Jagger: Nein.
SZ: Gimme Shelter?
Jagger: Echt nicht. Nein.
SZ: Sympathy for the Devil?
Jagger: Der ein bisschen. Ja. [...] (Süddeutsche, 1998)

Dreißig Jahre nach Entstehung des Textes ist der Songtitel längst zum geflügelten Wort avanciert, wird in den Printmedien als griffige Schlagzeile benutzt. Ausstellungen oder Vortragsreihen sind mit dem Stones-Klassiker betitelt, und sofort stellt sich hier beim Rezipienten die erwünschte Assoziation ein- der Song steht für eine Ära, ein Lebengefühl.
Dazu Klaus Theweleit anläßlich der Veröffentlichung seiner Hendrix-Biografie:

taz: "Have you ever been to Electric Ladyland" aus dem Titelsong des 1968 erschienenen Albums "Electric Ladyland" sei eine Zauberformel wie das "Please allow me to introduce myself" der Rolling Stones aus "Sympathy for the Devil"? Inwiefern?
Klaus Theweleit: Die Formel der Stones: Introducing myself as man of wealth and taste, als The Devil, als der Teufel persönlich, war die Übertretungsformel in alle Bereiche des Verbotenen. Die teuflischen kleinen Jungs und Mädchen tun nicht mehr, was Daddy and Mommie ihnen sagen. "Sympathy For The Devil" ist damit das Initiationsstück für alle Übertretungswilligen der 60er-Jahre. "Have You Ever Been To Electric Ladyland" erweitert das auf eine Art übermenschlichen elektronischen Körper hin; ohne dass etwa Roboterhaftes gemeint wäre. Nein, die elektrifizierte Gitarre als metamorphotische Kraft; hinein in den neuen Geschichtskörper der Menschheit. (taz, 2008)

Selbst in abgewandelter Form ("Sympathy for the record industry", "Sympathy for the debil") versteht der Leser sofort den beabsichtigten Verweis. Offenbar reicht allein das Wörtchen "Sympathy" aus, um die Verbindung zum Song herzustellen, er ist Allgemeingut geworden.

Manchen Zeitgenossen ist der Song ob seiner satanischen Verführungskraft selbst heute noch ein Dorn im Auge:
"Die Schweizer sind in Aufruhr: DJ Bobo will beim Eurovision Song Contest als Vampir auftreten. Nationalrat Christian Waber wollte Bobos Song verbieten lassen, da er "satanische Verse" enthalte. [...]
SZ: Himmel und Hölle werden oft in der Musik zitiert. Die Rolling Stones haben "Sympathy for the Devil" gesungen, Wolfgang Petri wollte in die "Hölle, Hölle, Hölle" ...
Waber: Ja, und wir prangern solche Texte seit mehr als 30 Jahren an. Schon bei "Highway to Hell" von AC/DC haben wir das bemängelt und bei Marilyn Mansons Liedern erst recht. Auch Harry Potter ist nicht ungefährlich. Manche Kinder nehmen die Fabelwesen mit in ihr Leben hinein. Die Folgen sind Schlafstörungen und Angstzustände." (Süddeutsche, 2007)

Nicht erst mit dem Aufstieg Jaggers in den Adelsstand gehören die Rolling Stones zum nationalen Kulturgut der Briten. Da verwundert es nicht sonderlich, dass nun auch Straßen in der Heimatstadt der Stones nach Songs der Rocker benannt werden sollen, um diesen Status zu festigen:
"Satisfaction Street, Stones Avenue und Lady Jane Walk: Das südenglische Städtchen Dartford will die Straßen eines Neubaugebiets nach Songs der Rolling Stones benennen. Die Einwohner sind begeistert - Bedenken kommen dagegen von der Polizei.
In der Diskussion ist auch eine Stones Avenue, ein Lady Jane Walk sowie ein Little Red Walk, benannt nach dem Song "Little Red Rooster" oder eine Sympathy Street nach "Sympathy For The Devil"."
(SPIEGEL, 2008)

Dienstag, 31. März 2009

In Vino Satanas - Merchandising II


Die Ex Nihilo Vineyards Inc. bietet seit vergangenem Jahr einen Eiswein mit dem wohlklingenden Namen Sympathy for the devil feil, erhältlich als Riesling oder Pinot Noir.
Albern? Ja, und doch ergibt hier das Konzept des Merchandisings Sinn wie kaum sonst wo. Das Fan-Produkt ist hier mit seinem Fan gealtert, denn der durchschnittliche Stones-Fan ist dem Poster-Alter längst entwachsen, und auch das Zungen-Shirt wird höchstens noch für das Konzert aus dem Schrank geholt.
"What do Keith Richards and a bottle of ice wine have in common? They both have the unnerving ability to last for decades: ice wine because of its high acidity and Keith Richards because… well, not everything in nature can be explained."
So kalauert das Magazin Winespectator, und auch wenn es scherzhaft gemeint ist, zeigt sich hier doch der Marketinggedanke hinter dem Produkt: Die Rolling Stones ("Blood Red Wine"), mit ihrem Publikum über die Jahre gereift, aber ob ihrer Vergangenheit auch immer noch Symbol für Sinnlich- und Sündhaftigkeit, nun mit Wein zum Merchandisingprodukt zu vereinen, liegt nahe.

"It is rare, enchanting and a little bit sinful"

Die Marketingstrategie geht hier aber noch weiter, da jene die Aura konstituierenden Attribute dem Produkt selbst, sprich: seinem Inhalt zugeschrieben werden- Sex , Drugs and Rock'n'roll zum trinken.
Dass dieses Konzept wohl kaum aufgegangen sein wird, ist wahrscheinlich. Kaum ein Kenner wird Wein, der sich mit fremden Federn zu schmücken hat, interessiert einer Kostprobe unterziehen, während die dekorative Flasche allein für selbst eingefleischte Stones-Fans selten als Kaufargument ausgereicht haben dürfte.
Und für ein Bankett ist der Wein mit 125 $ pro Flasche jedenfalls nicht nur für Bettler ein wenig zu teuer.
Und dennoch passen Produkt und Marke hier bestens zusammen.
Ganz besonders, da die Weinsorte nach dem berühmten Klassiker der Band benannt wurde. Sünde und Verführung wurden schon bei den Griechen mit dem Rebensaft in Verbindung gebracht, ganz explizit bedichtete etwa der Lyriker Franz Keim Ende des 19. Jahrhunderts den "Teufel im Wein":
Ein neuer Geist in Kopf und Herz

Macht deine Zunge lallen.
/
Ein Gott erhebt dich himmelwärts –

Der Teufel läßt dich fallen.


Eine gewisse Parallele zu unserem Songtext lässt sich vielleicht sogar herstellen: Der Wein trinkende Sünder steigt hier auf in den Himmel ("And all the sinners saints"), der Teufel lässt ihn schließlich fallen ("I'll lay your soul to waste").
Bleibt abzuwarten, wo wir die berühmte Zunge in Zukunft noch überall werden entdecken können.
Cheers!

Sympathy for the Merchandising

Die Geschichte des Merchandisings beginnt bereits in den 60er Jahren des neunzehnten Jahrhunderts.
Schauspielerphotographien, ursprünglich entstanden zur Bewerbung an den Theaterbühnen des Landes, wurden vermehrt nun auch an das Publikum verteilt, die Nachfrage stieg rasch.
Bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts gelten Starpostkarten als star-bildendes Attribut und Vehikel des Starkults.

Seit dem fungieren derlei "Devotionalien" als Stellvertreter für den abwesenden Star.
Durch die sich später enorm erweiternde Palette an Fanartikeln, eröffneten sich dem Publikum nach und nach mannigfaltige Möglichkeiten, sich dem eigenen Idol zu nähern, oder durch z.B. Fankleidung scheinbar gar eins mit ihm zu werden.
Zum Star gehört eine grundsätzliche Distanz zum Publikum, Unerreichbarkeit und Ferne, die gelegentlich im Theater, im Film oder eben bei Rockkonzerten aufgehoben werden kann, die aber nicht grundsätzlich aufgehoben werden darf.
Der Nachbar von nebenan, den man im Alltag erlebt, und den man mit all seinen Schwächen kennt, ist kein Star.
Die Nähe, vor allem die alltägliche Nähe, löscht Startum aus, auch wenn neuerdings die exakte Umkehrung dieses Prinzips in den sogenannten Castingshows praktiziert wird. Hier gilt: Jeder kann ein Star sein.
Anpassung und Disziplin ersetzen Originalität. Das "Geheimnisvolle" der "Aura", von der Walter Benjamin spricht (siehe: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit), wird durch die totalveräußerung des Privaten von vornherein verunmöglicht. Diese "Stars zum Anfassen" , "Idole von nebenan" müssen mittlerweile wenigstens jährlich reproduziert werden, so rasch verliert die Öffentlichkeit hier das Interesse.
Ganz anders verhält es sich da bei den Rolling Stones, denen es wie wohl keiner anderen Band gelungen ist, sich selbst als auratisch aufgeladene Marke zu etablieren.
Dabei ist es nicht einmal mehr nötig, das Abbild der Stars (also der Bandmitglieder) zu reproduzieren, denn das berühmte Zungenlogo ist längst mindestens ebenso berühmtes Symbol für die Band im Speziellen ,aber auch Sex, Drugs and Rock'n'roll und Protest im Allgemeinen, sie dient als Stellvertreter für Band und Lebensgefühl.
"Eine Ikone in der Unterhaltungsbranche", nennt sie Klaus Brandmeyer, Direktor am Institut für Markentechnik in Genf, vergleichbar mit dem MGM-Löwen und der Weltkugel von Universal, ähnlich einprägsam wie die Schweifschrift von Coca-Cola.
T-Shirts, Kappen und Jacken usw. haben der Band allein zwischen 1989 und 2003 einen Umsatz von 140 Millionen Dollar beschert. Seit dem dürften noch etliche Millionen hinzugekommen sein.
Um die Geldmaschine der Stones auch weiterhin auf Hochtouren laufen zu lassen, werden keine Möglichkeiten ausgespart.

Satanische Botschaften - "Sympathy for the Devil" in den Medien, Part I

Nur zwei Jahre nach erscheinen des Songs schreibt
Hellmuth Karasek in Die Zeit:

"Jagger braucht keine Titel anzusagen, er bestimmt nur die Richtung, wenn er Country Music oder „We gonna rock" ansagt. Denn die Stones stürzen sich immer wieder mit neuen Improvisationen in die gleichen Titel, die seit „Let it bleed" und „Sympathy for the devil" ihr Repertoire bilden. Es sind Nummern, an deren wilder Ausgewogenheit, an deren stets wiedergewonnener Spontaneität man alle gegenwärtige Rockmusik zu messen hat." (1970)

Schon damals gehörte der Song zum festen Bestand der Gruppe, man erahnt die damalige Einwirkung dieses richtungsweisenden Stückes, wenn selbst Literaturkritiker mit offensichtlich limitiertem Musikwissen ("wilde Ausgewogenheit"?) schon damals das Epochale dieses Songs erkennen.

Ein paar Jahre später, im stark politisierten Deutschland des Jahres 1976 nimmt man sich an selber Stelle kritisch des Songtextes an, und resümiert:
"Ein merkwürdiger Teufel, in dessen Rolle Mick Jagger da schlüpft.. Er hat die russische Revolution gemacht und die Kennedys ermordet. Für welches geschichtliche Prinzip steht dieser Teufel? Welche Ideologie ist es, die dieselbe Kraft für die Ermordung des Zaren und der Kennedys verantwortlich macht? (Solschenizyn wüsste vielleicht eine Antwort darauf.)"

Der Systemkritiker und Nobelpreisträger für Literatur, Alexander Issajewitsch Solschenizyn, der sowjetischen Heimat verwiesen, nach einer Zeit im Asyl bei Heinrich Böll in die USA ausgewandert, hätte in der tat eine bestimmt spannende Antwort auf diese Frage gehabt.

Ein Jahr später taucht der Titel in Verbindung mit dem Terror in Deutschland auf:
"Gemeinhin ist es der Gemeinschaftsfilm "Deutschland im Herbst", mit dem Fassbinder, Schlöndorff, Kluge und andere Filmemacher das Terrorjahr 1977 verarbeiteten, der als begriffsbildend gilt. Dorothea Rein, Gründerin des Verlags Neue Kritik, behauptet anderes: "Wir haben im Februar 1978 das Buch ,Ein deutscher Herbst' herausgebracht. Das hat den Begriff geprägt." Anlass für das Buch sei eine Podiumsdiskussion gewesen, die unter dem Titel "Sympathy for the Devil" kurz vor der Geiselbefreiung von Mogadischu auf der Frankfurter Buchmesse stattfand." (taz, 2007)


The Neptunes & The Stones, Part II

Bei genauerer Betrachtung gibt es in Alex de Rakoffs Regiearbeit doch ein paar schöne Einfälle, die eine nochmalige Analyse rechtfertigen.
Zunächst ist da die Medialität, mit der unser Song in die Geschichte eingeführt wird.
Die Musikkassette, als bereits antiquiertes Medium, dient hier als Träger einer Musik mit Vergangenheit.

Der Teufel besteigt sein Auto, dessen Kühlerfigur wie ein Fadenkreuz erscheint, durch das Mephisto seine Opfer anvisiert.
Im Autoradio wird die Musik zur >Musica mobilis<, wie Shuhei Hosokawa in seinem Buch "Der Walkman-Effekt" diese Form der Musikwahrnehmung nennt. Musik wird zum narrativen Soundtrack der Umgebung.
Sie kommt hier intradiagetisch zum Einsatz, allerdings ausschließlich für die Figur des Teufels, der sich in einer Welt des >Allein-Musik-Hörens< befindet.

Ein weiteres Element zur Verbildlichung der Historizität des Songs, sind die Leinwandprojektionen des jungen Mick Jagger, der hier quasi im Duett mit Pharrell Williams singt.

Stimmig erscheint mir auch die Darstellung des Teufels in seiner Vielgestaltigkeit.
Er erscheint hier eben nicht als maskenhaftes Monster, das sofort als böse zu entlarven ist, sondern als amorphes Wesen, das, je nach Beute, das Gesicht wechselt, und seine Opfer nicht etwa brachial zur Missetat drängt, sondern elegant an der Schwelle zur Sünde "abholt".
Die im Video gezeigten Variationen des Themas bleiben dabei, wie bereits beschrieben, arg brav und banal.
Im Song berichtet uns Jagger hauptsächlich vom Krieg;
leider wird das Thema hier - im Jahr der Irak-Invasion- völlig ausgespart.
Stattdessen erleben wir einen Satan, dessen Verführungskünste sich in dem provozierten Schmachtblick seines Opfers erschöpfen- offenbar genug, um das junge Glück am Nebentisch zu entzweien.
Und ein Belzebub, der uns als windiger Autoverkäufer zur Ratenzahlung überreden möchte, den wähnen wir auch nicht unbedingt als gerade der Hölle entstiegen. Luzifer light.
Natürlich ist es hilfreich, sich einer starken Bildsprache zu bedienen, wenn in der kurzen Dauer eines Musik-Clips eine Geschichte erzählt werden will. Angesichts des allseits bekannten Songs und seines Themas, hätte man in diesem Falle die Charaktere weniger plakativ darstellen können.

Das Bild oben zeigt Bob Dylan in der Reihe Ghost in the Machine, zu finden hier:
http://www.flickr.com/photos/iri5/sets/72157611954107572/

Montag, 10. November 2008

The Neptunes & The Stones



Wenn man im neuen Jahrtausend einen beinahe 40 (in Worten: vierzig!) Jahre alten Song wiederbeleben, ergo nochmals in die Charts hieven will, fragt man?
Richtig! das unfassbar erfolgreiche Produzententeam The Neptunes.
Pharrell Williams und Chad Hugo hatten sich bereits in den späten Neunzigern einen Namen im US-amerikanischen Hip-hop als stilprägende Producer gemacht, im Jahre 2003 stehen bereits längst etablierte Popstars wie Gwen Stefani Schlange.
Anstelle der typisch basslastigen Rhytmen, ihrem stark elektronisch geprägten Sound, nähern sich die beiden ihrem Gegenstand hier weit weniger dominant. Eher mit Eleganz und Respekt.
Lediglich den Perkussionsteilchen verleihen sie etwas mehr Geschmeidigkeit.
Spätestens ab jener kleinen überraschenden Bruchstelle vor dem zweiten Refrain, beweisen die Neptunes aber auch Sinn für dramaturgische Effekte. Gegen Ende fahren sie gar das so charakteristische Dauerfeuer des Originals mit einem überraschenden Akustik-Arrangement (Gitarre und Streicher) herunter.
Das dazugehörige Video hingegen hat dem Song so gar nichts neues hinzuzufügen, im Gegenteil: Der vielschichtige Text von Sympathy wird hier heruntergebrochen auf die im Hip-Hop zur Genüge durchexerzierten Luxus- und Stripclub-Szenerien, brav gegen böse und böse gleich cool.

INTRO

Im Rahmen eines kulturwissenschaftlichen Seminars der HU Berlin,
"Sympathy for the Devil- Karriere eines Rocksongs", widmet sich dieses Blog der Geschichte eines der "größten Klassiker der Rockmusik", einem Song, der Literaten, Filmemacher, und natürlich unzählige Musiker inspirierte.

Der Schwerpunkt dabei soll auf der Frage liegen, wo und in welcher Form dieses Stück Musik bis in die Gegenwart überlebt hat.
Wo und wie setzt man sich also heute mit "Sympathy for the Devil", sei es musikalisch, literarisch oder künstlerisch auseinander?
Was hat sich im Laufe der Rezeptionsgeschichte verändert?
Welche Aspekte scheinen unberührt?

Diesen und anderen Fragen werde ich hier in den kommenden Wochen auf den Grund gehen.

Sonntag, 9. November 2008